von P. Karl Engelmann
Dechant und Pfarrer von Hernals
Die Evangelien dieses und der kommenden Sonntage sind aus den sogenannten „Abschiedsreden“ nach Johannes. Sie sind nicht an die Volksmassen, sondern an die „Jünger“ im Abendmahlsaal gerichtet. In langen Monologen teilt sich Christus mit und spricht als Gottessohn mit letzter Autorität, aber auch von Herz zu Herz. Er offenbart sein Tiefstes und Persönlichstes und berührt das Tiefste und Persönlichste in den „Jüngern“. Er gibt sich, gibt sein lebendiges Wort und seine Kraft, damit sie mitten in den Wirren und Angriffen der Welt bestehen und sie überwinden. Kein Getaufter kann ohne ihn leben und Frucht bringen. Begeistertes Mühen reicht nicht. Die Jünger sollen aber nicht nur opfern und leiden, sondern etwas vom Himmel verkosten; die Härten des Lebens werden sie dann in der Tiefe der Person nicht berühren, wo die „Freude im Herrn“ lebt (Phil 4,4).
Die Worte der „Abschiedsreden“ kommen wie aus einer anderen Welt. Fragen und Einwände der Jünger zeigen, wie wenig sie verstehen. Christus antwortet ihnen nicht direkt und konkret. Er eröffnet vielmehr den Zugang zum verborgenen „Vater“, verankert die Seinen in den tiefsten Lebensquellen und befähigt zur Bewältigung der harten Wirklichkeit. Ähnliches geschieht im kontemplativen Gebet.
In diesen Reden erfüllt sich das Wort: „… der Geist der Wahrheit wird euch in die ganze Wahrheit führen … er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden.“ (vgl Jo 16,13f) Mit anderen Worten: Die „Abschiedsreden“ sind keine Mitschrift und keine genaue Wiedergabe von Reden Christi im Abendmahlsaal. Es spricht vielmehr der Auferstandene neu und lebendig zur zweiten oder dritten christlichen Generation um 100 n.Chr., also zu den Gemeinden in der griechisch-römischen Welt, zu Menschen, die ihn körperlich nie gesehen haben oder auch nie sehen konnten. Hier gilt das Wort: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.“ (Offb 2,29 u.a.)
Das ist aufregend. Wie beweglich und geisterfüllt muss die Urkirche gewesen sein, dass sie nicht nur die alten Worte genau wiederholte, sondern das Evangelium neu empfangen und verkünden konnte! Mögen in der österlichen Mystagogie von heute diese Worte lebendig werden und aufhorchen lassen. Die „Abschiedsreden“ wollen „Gegenwartsreden“ des Auferstandenen sein, der uns in die Geheimnisse seines Lebens einführt. Er will uns himmelsfähig und weltfähig machen.
Karl Engelmann aus: J. Koller. Österliche Spiritualität. Wien 1996