P. Lorenz Voith CSsR, Marienpfarre-Redemptoristenkolleg Hernals
Dass die „Frommen“ und Glaubenswächter in den Religionen aller Zeiten der großen Vergebungsbereitschaft Gottes misstrauen, ist allbekannt. Da wird lieber vom strengen, vom allmächtigen Gott, dem strafenden Gott erzählt.
Im Alten Testament: Der Prophet Jona flieht vor dem Auftrag, der Stadt Ninive das Gericht anzukündigen, weil er der Barmherzigkeit Gottes misstraut, der die Drohung zurücknehmen könnte, wenn die Bewohner sich bekehren sollten. Die Zeitgenossen Jesus nehmen Ärgernis an seinem Umgang mit der Sünderin. Gesetz ist Gesetz. Sünde ist Sünde. Strafe ist Strafe. Wie kann also dieser Rabbi ganz anders von Gott reden? Und sogar vergeben, ohne Sühne.
Es gibt einige die darüber streiten, ob es bei der Wandlung heißen sollte: Dass Jesu Blut FÜR ALLE oder nur FÜR VIELE vergossen wurde. Papst Benedikt hatte diese veränderte Version damals angekündigt, weil es dem griechischen Urtext vielleicht näher ist (wörtlich übersetzt: für „VIELE“!). Nun, das wurde mehr oder weniger noch nicht übernommen – in unsere Bücher. Weil es nicht immer wörtlich sein darf. Es geht um die Zusammenhänge, um das Beispiel Jesu Christi und seiner Lehre und Rede von Gott. Seinem Vermächtnis.
Zusammengefasst das Jesuanische: Der Gott der Bibel will das Heil aller Menschen, er ist grenzenlos bereit zur Vergebung und Versöhnung.
Die Angst der Frommen und der Glaubenswächter hat sich vielleicht auch in diversen jüdischen Lehrerzählungen niedergeschlagen. Immer wieder gewährt Gott Nachlass. Aber nur Stück für Stück. Dahinter steht die jüdische Lehre, dass Gott nur dreimal die dieselbe Sünde vergibt. Mehr nicht.
Der König im Gleichnis von Jesus wendet sich aber in seiner vollen Freiheit dem verschuldeten Knecht zu und erlässt ihm die ganze Schuld. Nicht mehr und nicht weniger. Also nicht Stück für Stück.
So ist unser Gott. Das ist die Lehre Jesu: Er ist grenzenlos bereit seinen Geschöpfen zu vergeben und zu versöhnen. Einzige Voraussetzung ist, dass auch wir zur Vergebung und Versöhnung bereit sind.
Das ist dann der große Hacken. Die große Versuchung. Der nicht leichte Zugang zur Vergebung und zur Versöhnung. Können wir dass überhaupt? Sind wir dazu überhaupt in der Lage? Bei großen Vergehen, bei Hass, Verfolgung, bei Ungerechtigkeiten, die zum Himmel schreien?
Ja, das ist und bleibt eine Herausforderung.
Zwei Anmerkungen dazu:
Ich muss mir selbst vergeben können, bevor ich anderen vergebe. Diese Weisheit kennen wir aus der Psychologie. D.h., ich muss mit mir selbst ins Reine kommen. Auch wenn Unrecht im Spiel war. Dann kann ich langsam wachsen und vielleicht die Versöhnung innerlich anbieten. Ich rate auch Menschen, die an ihrer Familiengeschichte leiden. Nicht jedes Verhältnis zu Eltern oder nahen Verwandten war und ist immer glücklich, förderlich. Oftmals hinterlassen diese Beziehungen tiefe Spuren, Verletzungen und Narben. Wie gehen wir damit um: Nicht indem wir alles verdrängen, oder alles für „erledigt“ erklären (weil wir es nicht mehr ändern können), sondern in dem wir uns dem Faktum stellen. Und dann muss auch einmal das Wort gesagt werden: Es war und ist nicht gut; es hat mich tief verletzt! Und das kann ich vielleicht auch dann noch sagen, wenn diese nahen Menschen bereits verstorben sind. Vielleicht in einem „Brief“, in einem offenen Wort am Grab. Auch das ist Versöhnungsarbeit.
Von Mahatma Gandhi stammt das Wort. Schwache Menschen können nicht verzeihen. Der glaubende Mensch weiß sich von Gott getragen und auch versöhnt. Er kann daher vielleicht leichter verzeihen, oder aber die Welt in einem größeren Licht sehen. Vieles auch relativieren. Manches auch „stehen“ lassen. Gott selbst wird die letzte „Gerechtigkeit“ sein.
Letztlich ist es Gott, auf dem ich vertrauen darf. Er ist es, wie Jesus sagt, der grenzenlos vergibt. Wenn, ja: Wenn auch ich die Grundbereitschaft dazu zeige. Mögen wir darin wachsen.
Oder wie es ein älterer Herr sagte: „Kämpfen wir mit versöhntem Herzen“!
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