Dienstag, 16. Juni 2020
+ Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus · 5,43–48
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?
Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.
Kommentar · Pfarrer Karl Engelmann
Das Alte Testament kennt das Gebot, den Nächsten zu lieben wie sich selbst (Lev 19,18.34), es enthält aber kein Gebot, den Feind zu hassen. Ein solches konnte sich freilich aus der Beschränkung der Nächstenliebe ergeben; tatsächlich schreibt die Regel der jüdischen Sekte von Qumram vor, „alle Söhne der Finsternis zu hassen, jeden nach seiner Verschuldung in Gottes Rache“.
Solange ich frage: Wer ist mein Nächster?, Wer ist mein Feind?, Wer sind die Söhne der Finsternis?, und solange es von der Beantwortung dieser Fragen abhängt, ob ich einen Menschen liebe oder nicht, habe ich die Absicht des mosaischen Gesetzes und erst recht die in Jesus offenbar gewordene neue Gerechtigkeit nicht verstanden. Der Hass beginnt ja nicht erst beim Mord, sondern bei den kleinen Lieblosigkeiten, die ich mir täglich erlaube, wenn der Mitmensch für mich eben nur der Andere, nicht aber der Nächste ist.
Die Nächstenliebe ist das Band, das alle verbindet, die Gott nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen und zur ewigen Liebe bestimmt hat. Der Feind, der geliebt wird, ist kein Feind mehr. Deshalb hat Gott keine Feinde – wenn es auch Menschen gibt, die sich als solche gebärden. Hier geht es auch um die Feinde in uns selber. Auch wir haben „Hausgenossen“ in unserem Leben, in unserem Innersten, die Feinde für die Entwicklung unseres persönlichen Lebens sind. Es gilt, diese Feinde wahrzunehmen; das anzunehmen, was ist; und durch die Kraft, die dadurch freigesetzt wird, zu leben.