Dienstag, 15.6.2021
Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus 5, 45-48
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.
Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen,
damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und
Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das
nicht auch die Zöllner?
Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?
Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.
Kommentar · Diakon Mark Eylitz
Vor kurzem feierte der russische Oppositionspolitiker Alexei Nawalny seinen fünfundvierzigsten Geburtstag. Champagner und Kuchen gab es nicht, sondern, so wie jeden Tag, Tee, Brot und Haferbrei. Und gefeiert wurde nicht in einem schicken Lokal oder in einer netten Bar. Sondern im Schlafsaal der „Arbeits- und Besserungskolonie IK 2“ in Pokrow, rund 200 km östlich von Moskau. Weder seine Frau noch seine beiden Kinder, noch sonst jemand aus seiner Familie konnten Nawalny an diesem Tag besuchen. Nur einer seiner Anwälte. Und da diese Anwälte derzeit die einzige Möglichkeit für den bis 2023 wegen „Verstoßes gegen Meldeauflagen“ seine Lagerhaft absitzenden Nawalny zu kommunizieren sind, verbreitete dieser Anwalt auch eine neue Botschaft seines Mandanten. Neben dem Dank für Glückwünsche und aufmunternde Briefe sagte Nawalny aber auch noch etwas, was mich sehr berührt hat: „Ich versuche, mein Bestes zu geben, um zu verstehen, zu vergeben und sogar ein bisschen zu lieben. Es ist nicht leicht , aber ich gebe mein Bestes. Wie heißt es: wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr dann Besonderes? ..Ich denke immer: Menschen sind so gut, wie kann man sie nicht lieben? Vielen Dank an alle, Umarmungen an alle“ Hier spricht jemand, der seit Jahren Schikanen und Drangsalierungen bis in sein persönliches Umfeld ausgesetzt war. Der vor rund einem Jahr fast durch eine offensichtlich gezielte Vergiftung ermordet worden wäre. Der trotz alledem und trotz aller Warnungen in seine russische Heimat zurückkehrte. Dort verhaftet wurde. Vorgeführt wurde. Und in einem Prozess, dem jegliche Rechtsstaatlichkeit fremd war, „verurteilt“ wurde. Und selbst danach noch malträtiert, einige sagen sogar, psychisch gefoltert wurde. Der also allen Grund hätte, zu schreien. Aus Wut. Aus Trauer. Aus Verzweiflung. Doch was macht er? Er spricht von Vergebung. Von Liebe. Und stützt sich hier auf ein Wort Jesu. Wow! Ich frage mich ganz persönlich, wie es mir in dieser Lage ginge. Und ob ich dazu fähig wäre. Und wie wenig fähig ich schon zum einfachen Vergeben, zum Lieben, zum Grüßen, in ganz banalen unangenehmen Situationen bin. Und diese Erkenntnis macht demütig. Beschämt. Doch dann blicke ich auf – und sehe die Sonne immer wieder neu aufgehen. Für Dich und für mich. Und weiß: Gott hilft mir eines Tages zur Vollkommenheit. Doch ich kann selbst dabei behilflich sein: indem ich versuche, immer wieder neu mein Bestes zu geben.
„Ich aber sage euch“. Will ich zuhören-zu Hause, in der Arbeit, mit Freunden?
Jeden Tag nehme ich mir Gedanken Jesu und möchte sie aufnehmen. Lass mich verstehen, Herr!