Meine Worte werden nicht vergehen

1. Adventsonntag

Pfarrer Dr. Karl Engelmann

Sonntag für Sonntag hören wir in jeder heiligen Messe das Wort Gottes, sowohl aus dem Alten Testament als auch aus dem Neuen Testament. Das II. Vatikanische Konzil definiert uns Christen als „Hörer des Wortes“. Es ist ein aktives Hören, ein Hören auf das, was auf mich zukommt. Dazu braucht es Offenheit, vor allem Offenheit des Herzens. Beim Hören des Wortes besteht die Gefahr, dass sich schnell der Gedanke einschaltet: Das kenne ich schon!, und man hört schon nicht mehr genau hin. (Freilich kommt es auch darauf an, wie das Wort Gottes verkündet wird.) Ich selbst erfahre immer wieder, dass gerade Bibelstellen, die ich gut kenne, für mich eine ganz neue, überraschende Botschaft in sich tragen. Immer wieder einer je neuen Botschaft für das persönliche Leben sich zu stellen, dazu fordert das Leben einen heraus. Und damit fördert einen das Leben, das große, das überpersönliche Leben.

In der heurigen Advent- und Weihnachtszeit wäre es gut, wenn wir uns der Kraft des Wortes Gottes stellen würden. Das Wort Gottes ist bis heute voller Kraft. Wir müssen diese Kraft in unserem Leben nur zulassen und aus dieser Kraft und mit dieser Kraft und in dieser Kraft leben, ganz so, in der Form und Art und Weise, wie sie sich eben verwirklicht. Wir müssen uns dieser Kraft hingeben ‒ und Hingabe bedeutet: keine Kontrolle mehr zu haben. Dann ist kein Unterschied mehr zwischen der Kraft und uns. Dann ist eine Kraft, eine Person. Dann ist die Kraft wahrhaft und wirklich Fleisch geworden.

Das Wort Gottes, das wir am Sonntag hören, sollte uns eigentlich die ganze Woche begleiten. Die Schriftlesungen der Adventsonntage sind aufeinander aufgebaut. Ihr Gipfel ist die Aussage: „Das Wort ist Fleisch geworden.“ Ja, das Wort Gottes ist in Jesus Christus wirklich Fleisch geworden. Es soll und muss auch in unserem Leben „Fleisch werden“, das heißt „Gestalt annehmen“. So soll das Fleisch gewordene Wort in der Welt wirken.

Meine Worte werden nicht vergehen“ ist eine wesentliche Aussage des ersten Adventsonntags. Die Welt ist noch nicht fertig, die Geschichte ist nicht zu Ende. Nichts wird bleiben, wie es ist. Die Zukunft ist ‒ wie die Gegenwart ‒ Licht und Dunkel zugleich. Unsere Zukunft aber ist Christus. Er kommt in seinem Wort zu uns. Sein Wort wird nicht vergehen. Es möchte jeden einzelnen Menschen im tiefsten Herzen treffen. Dazu braucht es ein aktives Hören. Sein Wort soll tief in uns eindringen. Er ist gekommen, und er wird kommen. Er ist immer der Kommende. Und wir warten auf seinen Tag, seinen Advent. Advent heißt Ankunft: Kommen Christi in offenbarer Wahrheit und Klarheit. Gott wartet auf uns: Er gibt uns die gegenwärtige schwierige Zeit auch als Zeit der Gnade, als Weg in die Zukunft. „Ich bin der Weg“, sagt uns Christus. Gerade im heurigen Advent mit seinen Einschränkungen können wir vielleicht besser in uns hineinhören, können uns mehr Zeit für uns selbst und für einen Mitmenschen nehmen.

Erste Lesung: Die Lesung aus dem Buch Jesaja ist ein Gebet aus dunkler Zeit. Nach der Heimkehr aus dem babylonischen Exil war die Situation in Jerusalem schwierig, beinah aussichtslos. Dieses Gebet beginnt mit der Anrufung Gottes: „Du bist unser Vater, unser Erlöser von jeher!“ Gott vergibt die Schuld und gewährt Zukunft denen, die seinen Namen anrufen. Er ist unser Vater. Der Israelit weiß um die Zuverlässigkeit des Wortes Gottes. Er weiß: Gottes Wort hat Bestand und wird nie vergehen.

Evangelium: Es gibt Ereignisse der Zukunft, die wir im Voraus berechnen und vielleicht auch beeinflussen können. Das große Ereignis aber, auf das wir warten, hat kein Datum in unserem Kalender. „Ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.“ Bis dahin, bis „der Hausherr kommt“, ist die Zeit des Wachens: Verantwortlich die gegenwärtige Stunde leben und nach dem Herrn ausschauen, der kommen wird ‒ an seinem Tag.

Wachen heißt, klar die Wirklichkeit zu sehen, in der wir leben, und die Wirklichkeit, der wir entgegengehen. Diese Wirklichkeit heißt Christus. Er ist uns jetzt schon gegenwärtig: in seinem Wort, im Sakrament, in den Schwestern und Brüdern. Es geht aber auch um den Glauben, dass das Wort Gottes Bestand hat; dass Jesus all das, was er verheißen hat, auch erfüllen wird. Ansatzweise können wir diese Erfüllung in unserem konkreten Leben erfahren. Das Wort Gottes vergeht nicht, es hat Bestand. Es bleibt und erfüllt sich an uns. Es kann uns in dieser schwierigen, herausfordernden Zeit Vertrauen und Hoffnung geben. Es sagt uns zu, dass die Zukunft in und bei Gott liegt.

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