Predigtimpuls – 11. Sonntag im Jahreskreis

Kaplan Boris Porsch

Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Auswahl und Zusammenstellung der heutigen Lesungen eine botanische Note haben. Es ist die Rede von zarten Zweigen und oberen Ästen, von prächtigen Zedern und Bäumen des Feldes, von hohen und niedrigen Bäumen, von grünenden Bäumen und verdorrten Bäumen, von Palmen, von Samen und Früchten, von Halmen und Ähre, vom Pflanzen und Ernten.

Es ist aber auch die Rede von den am Wachstum mehr oder weniger beteiligten Personen.

Die zwei Gleichnisse, die im heutigen Evangelium verpackt sind gehören zu einer Gruppe von Gleichnissen, die man auch als „Wachstumsgleichnisse“ bezeichnet. Außerdem beschreiben beide Gleichnisse die kommende Gottesherrschaft.

Das erste Gleichnis nennt man auch das Gleichnis von der „selbstwachsenden Saat“. Das interessante an diesem Gleichnis ist, dass der Schwerpunkt weder auf der Aussaat, noch auf der Ernte liegt – sondern auf dem Wachstum. Worauf es in dem Gleichnis ancheinend ankommt, ist das Aufgehen und das Wachstum der Saat, das ganz ohne das Zutun der Menschen passiert.

Dem heutigen Menschen wirkt das vielleicht etwas fremd:

Als biologisch aufgeklärte Zeitgenossen wissen wir genau, wie etwas warum wie wächst und was wir tun können, damit es noch schneller oder langsamer, noch höher oder noch kürzer wächst. Heute ist die Arbeit der Bauern mit der Aussaat noch lange nicht erledigt! Herbizide, Fungizide, Insektizide und Wachstumsregulatoren werden gespritzt, damit die Pflanzen die gewünschte Höhe, Form oder Frucht bekommen. Um das Wachstum der Pflanzen noch weiter zu optimieren, verändern wir sogar das Genmaterial der Pflanzen, um sie widerstandsfähiger und ertragreicher zu machen.

Damals in Galiläa war das noch anders, man muss dabei bedenken: Das natürliche Wachstum der Natur war den Menschen zur Zeit Jesu noch ein unbegreiflicher Vorgang, den sie nicht verstanden und auf den sie absolut keinen Einfluss hatten. Der Bauer musste warten: er ist nach der Aussaat zur Untätigkeit geradezu gezwungen. Er legt sich schlafen und steht wieder auf, es wird Tag und es wird Nacht – und „von selbst“ bringt die Erde ihre Frucht hervor.

Der Mensch kann hier gar nichts tun. Er kann das Wunder des Wachstums nicht begreifen und beeinflussen, der Wachstumsvorgang entzieht sich jedem menschlichen Eingreifen. Aus der damaligen Sicht heraus ist hier Gott am Werk und der Mensch ist daran unbeteiligt. Wenn man das Gleichnis nun auf das Heranwachsen des Reiches Gottes wendet, dann mag das Gleichnis vielleicht unseren Aktivismus und unsere aufgeklärte Selbstsichicherheit in die Schranken weisen, wenn es uns vor Augen führt, dass der Mensch das Kommen des Reiches Gottes nicht herbeiführen oder erzwingen kann, sondern höchstens dafür den Boden bereiten kann – dass wir alle Bettler vor dem Herrn sind. Auf der anderen Seite ist das auch sehr entlastend, wenn man sich nicht um das Wachsen des Reiches Gottes im eigenen Leben kümmern kann oder muss, schreibt Ester Maria Magnis in ihrer Glaubensbiografie mit dem passenden Namen „Gott braucht dich nicht“.

Man könnte es vielleicht so zusammenfassen: Das Gleichnis hebt die Schöpfermacht und die Geschichtsmächtigkeit Gottes hervor. Die Antwort des Menschen auf die zentrale Aussage dieses Gleichnisses kann nur „eine tiefe, auf Gottes Güte und Treue vertrauende Gelassenheit“ sein.

Das zweite Gleichnis, das „Senfkorngleichnis“, umschreibt ebenfalls das Kommen des Reiches Gottes. Gerhard Lohfink sieht die Gleichnisse als Antwort Jesu auf falsche Vorstellungen und Erwartungen der Menschen über das kommende Reich Gottes. Der Messias war zwar da, aber wo blieb denn nun die Veränderung der Welt? Man war immer noch unter der Herrschaft der Römer, unter denen die Armen ärmer und die Reichen immer reicher wurden. Sollte diese kleine hilflose Truppe, die mit einem Wanderprediger durch Galiläa zog wirklich der Anfang des endzeitlichen Israel sein? Dieses Senfkörnchen auf der grossen Weltbühne, letztendlich verfolgt von der politischen und religiösen Elite. Das enstprach nicht den gängigen Erwartungen über den Messias und die anbrechende Gottesherrschaft.

Jesus antwortet auf diese Einwände mit dem Senfkorngleichnis. Das interessante ist dabei, dass Jesus in diesem Gleichnis eine Pflanze ins Zentrum stellt, die zur damaligen Zeit jedem wegen ihrer kleinen, unscheinbaren Samen sprichwörtlich bekannt war. Das Gleichnis spielt sich zunächst einmal in der ganz realen und gewohnten Welt der damaligen Menschen ab, genauer gesagt, im Gemüsegarten. Jesus vergleicht das Reich Gottes mit dem Anbau von Kraut und Gemüse, mit einer gewöhnlichen Gartenpflanze, die in jedem Vorgarten wächst. Und dieses Bild ist vielleicht sogar von Jesus bewußt gewählt. Die Eigenart des Bildes entspricht der Eigenart der Sache! Das Reich Gottes ereignet sich mitten in der gewöhnlichen, bekannten, alltäglichen Welt. Es liegt nicht in weiter zeitlicher oder räumlicher Ferne. Das Reich Gottes ereignet sich hier und heute – unter uns. Klein und unscheinbar, wie ein Senfkorn, kann es doch eine Dynamik entwickeln, die eine große Pflanze heranwachsen lässt, in der die Vögel des Himmels nisten.

Wenn ich die zwei Gleichnisse nebeneinander lege, dann sagen sie mir dreierlei:

dass das Reich Gottes eine Dynamik hat, die wir nicht beeinflussen können. Wie es in der ersten Lesung heisst: „der Herr führt es aus“

Wir können dieser Dynamik in unserem alltäglichen Leben Raum geben. Jörg Zink hat das schön ausgedrückt:

„Wenn das Reich Gottes in dir angefangen hat, Wurzeln zu schlagen, wächst du mit dem Reich Gottes ins Weite. Deine Seele wird nicht nur stiller, sondern auch sensibler. Achtsamer. […]Seele und Welt werden umfassender, tiefer und wunderbarer, denn sie öffnen sich beide zur Welt Gottes. … Du lebst von innen nach außen und prägst deine kleine Welt so, dass das Reich Gottes in ihr Raum findet.“

In vertrauender Gelassenheit können wir Zeugen dieser verborgenen Dynamik seines Reiches sein, die unscheinbar und klein wie ein Senfkorn beginnen mag und doch zu einem tief verwurzelten Baum heranwachsen kann, der den herumfliegenden „Vögeln des Himmels“ Schutz und Heimat sein kann.

Das ist für mich auch ein Hinweis dafür, dass das Pflänzchen des Reiches Gottes  im Füreinander zur vollen Entfaltung kommt.

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